Die wahre Künstlerin, der wahre Künstler mitgemeint, wird aus einer bestimmten Quelle schöpfen, die man mit Worten nicht vollständig beschreiben kann. Manche sagen "Inspiration" dazu, manche "jahrelanges hartes Training", manche "es kommt von oben", und sie haben alle nicht ganz unrecht. Das Ergebnis, das dabei herauskommt, wird allgemeinhin als "Kunstwerk" bezeichnet. Und wenn die Künstlerin auch wirklich authentisch war und bei sich geblieben ist, wird sie dem Stil, in dem sie tätig war, etwas Neues und Einzigartiges hinzufügen. Denn so wie jeder Mensch Einzigartiges beinhaltet, wird seine wahre Kunst auch Einzigartiges beinhalten. Dieses Neue hat es vorher nicht gegeben und wird es nachher auch nie mehr so auf ganz genau diese Weise geben. Es ist ihr Beitrag in ihrer künstlerischen Disziplin, ihr Puzzlestück in dem unendlichen Puzzle der Kunst. Und möglicherweise werden andere Künstler, Künstlerinnen mitgemeint, an dieses Puzzleteil neue Teile hinzufügen. Sogar sicherlich, wenn man genug Zeit verstreichen lässt und genug Geduld hat.
Man kann und wird ihr Kunstwerk in einen Stil einordnen. - Auch Beethovens Musik wurde eingeteilt. Beethoven hat die Klassik nicht erfunden, er hat ihr etwas hinzugefügt. - Schafft sie es, viele Puzzleteile zu finden, die sich jeweils deutlich von den vorigen unterscheiden, wird man ein neues Wort finden, das ihren Stil beschreibt. Und wenn sich dann viele andere Künstler an genau die gleiche Stelle des Puzzles begeben, um dort weitere Teile zu finden, wird der Stil seine Anhänger finden. Das Puzzle an sich wird an jeder Stelle unendlich bleiben, das erkennt man spätestens daran, wenn es wahre Künstlerinnen gibt, die sich authentisch dran machen, an besagten Stellen weiterzubauen. Insofern ist jegliche heute entstandene wahre Kunst neue Kunst, zeitgenössische Kunst. Die Frage nach dem Stil ist sekundär, die Frage nach der Neuheit eines Stils ebenso. Da wahre Kunst immer etwas Neues beinhaltet, muss wahre Kunst nicht immer einen völlig neuen Stil eröffnen. Manchmal sind tausende kleine Puzzleteile im gleichen Stil nötig, bis ein neuer Stil kommt. Man kann aber im Vorhinein niemals ausschließen, dass nicht an jeder Stelle des Gesamten, wenn man nur lange genug daran weiterbaut, noch ein neuer Stil entstehen wird. So ist es zum Beispiel möglich, dass, wenn heute ein Künstler im klassischen Stil komponiert, er der Welt noch einen völlig neuen Stil eröffnen wird. Niemand kann das wissen, niemand kann das ausschließen.
Die Wiener Klassik hatte nicht einmal 100 Jahre Zeit, sich zu entfalten, da kam schon der nächste Stil. EIN nächster Stil.
Aber wie viele andere Möglichkeiten, wie viele andere Stile hätte es noch gegeben, hätten wir an anderer Stelle angesetzt und andere Pfade und Äste verfolgt? Niemand mag das zu beantworten. Niemand kann sagen, welche Stile da noch auf uns warten.
Es ist also eine grundlose Annahme, zu behaupten, dass irgendwo ein Stil innerhalb einer Kunst, völlig erschöpft ist und darin nichts Neues mehr zustande gebracht werden kann. Es fehlen schlicht und einfach die Beweise und die Gegenbeweise überwiegen zahlreich. Man mag in der heutigen Zeit Alma Deutschers Musik als Stilkopie abtun, was leider gemacht wird. Aber es ist keine Stilkopie, denn ihre Musik beinhaltet eine authentische Alma Deutscher Künstlerpersönlichkeit, das bedeutet, dass sie, welchen Stil man ihr auch immer zuschreibt, diesem Stil etwas HINZUFÜGT. Sie findet neue Puzzleteile, direkt vor unseren Augen! Und leider ist es nur ihr und möglicherweise manchen ihrer Anhängerinnen bewusst! Es kann sein, dass da noch ein völlig neuer Stil dabei herauskommt, wenn man ihrer Kunst nur genug Zeit lässt. Ihre Musik beinhaltet jedenfalls absolut Neues. Etwas, das es noch nie gegeben hat.
Und so ist es absurd, spätestens in der heutigen Zeit, in Anbetracht der Stilpluralität, aber auch alleine aus der Natur der Sache, die wir Kunst nennen, eine strikte Kategorisierung der "zeitgenössischen Kunst", der "zeitgenössischen Musik" vorzunehmen, die darauf abzielt, gewissen Stilen den Stempel "zeitgenössische Musik" und gewissen anderen Stilen den Stempel "nicht zeitgenössische Musik" aufzudrücken. Es ist fehlerhaft aufgrund der Natur der Kunst, aufgrund der Natur der wahren Künstlerinnen und Künstler. Und es wird daher auch nicht der Natur der Kunst gerecht, wenn gewisse Stile als "zeitgenössische Musik" gefördert werden (nicht nur finanziell) und gewisse Stile nicht. Sondern vielmehr liegt es in der Natur der Kunst, wenn ALLE Stile, wenn ALLE wahren Kunstwerke innerhalb der Musik, offiziell anerkannt als "zeitgenössische Musik", gefördert werden.
Daher muss die Diskussion um die Definition des Begriffs "zeitgenössische Musik" weitergeführt werden. Die Definition an sich muss infrage gestellt werden. Denn von öffentlicher Seite her wird die Bezeichnung "zeitgenössische Musik" nur auf einen sehr sehr engen Bereich der Musik, die heutzutage neu entsteht, angewendet. Zum Beispiel gilt Popmusik aus Sicht der österreichischen öffentlichen musikalischen Institute wie etwa Musikuniversitäten nicht als zeitgenössisch und auch Musik, die sich an Stile aus dem 19. Jahrhundert anlehnt, nicht. Das bedeutet mitunter, dass ein Popkünstler keine Förderung beim Thema "zeitgenössische Musik" beantragen kann, weil seine Kunst offiziell nicht als "zeitgenössische Kunst" gilt. Und auch allen anderen Kunstschaffenden, die nicht offiziell "zeitgenössische Musik" schaffen, ergeht es so. Mir übrigens auch. Die meisten meiner Werke sind offiziell keine "zeitgenössische Musik". Es darf natürlich jeder seine Kunst schöpfen, wie und in welchem Stil er möchte. Aber ein Eintritt in die öffentliche zeitgenössische Kunstszene ist für manche Kunstwerke unmöglich, wenn "zeitgenössische Kunst" offiziell bestimmte Stile beinhaltet und bestimmte Stile ausnimmt.
Die Bezeichnung "zeitgenössische Musik" muss aber aus meiner Sicht erweitert werden auf alle wahren Kunstwerke und Stile im Bereich Musik. Die Formulierung "zeitgenössische Musik" an sich muss eine andere Bedeutung bekommen als die, die sie aktuell (in Österreich) hat. Öffnen wir diesen Begriff, lassen wir zu, dass Kunst mehr ist als eine dogmatische Einteilung. Ermöglichen wir dadurch, dass das Puzzle Musik an allen nur erdenklich möglichen Stellen erweitert werden kann. Denn das ist es, wonach die Kunst meiner Ansicht nach strebt.
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