Als Absolvent der Musikuniversität Wien bin ich mit ihren Strukturen eng vertraut. Ich weiß zum Beispiel, dass die Musikuniversität ungefähr das Großartigste ist, was es gibt. Ich weiß aber auch, dass sie, wie die meisten Kunstinstitutionen dieses Landes, eine nicht mehr zeitgemäße Ansicht zum Thema "moderne Kunst" hat. Jede*r Student*in weiß das, oder zumindest die meisten. Wir wissen, dass wir, wenn wir eine Abschlussprüfung dort spielen und im Prüfungsprogramm ein "zeitgenössisches Stück" haben müssen, dass dieses Stück tendenziell atonal sein muss. Also zum Beispiel überweigend keine Akkorde oder traditionelle Tonleitern beinhalten darf. Schade, weil damit strukturell (die Musikuniversität setzt mit ihren Tabus ein starkes nationales Zeichen!) die tonale Musik in ganz Österreich nicht gefördert wird, also ich meine jetzt damit die "moderne Klassik".
Wann haben Sie das letzte Mal eine atemberaubende, berührende "Symphonie" mit Melodien und Harmonien im Konzerthaus gehört, die aus der Gegenwart stammt?
Die gibt es nicht mehr, richtig? Stimmt.
Und dann kam es, dass ich auf der Facebook Seite der Musikuniversität Wien eine Diskussion gestartet habe. Ich habe gefragt, ob ich mich in Österreich überhaupt noch offiziell "Komponist" nennen dürfe, weil ich ja noch (orchestrale) Musik schreibe, die nicht atonal ist (z.B. die Orphanage Suite, die Sie auf der Startseite meiner Homepage anhören können). Und solche Musik wird überwiegend (z.B. innerhalb der Musikuniversität) nicht mehr als moderne Kunst angesehen. Damit sinken auch die Chancen, dass ein professionelles Orchester mein Werk aufführt.
Na gut, sind wir uns mal ehrlich! Ich bin nicht Mozart, ich bin nicht Beethoven, ich bin nicht Brahms. Ein Jahrtausend-Genie ist ein Jahrtausend-Genie. Was ich über meine Musik sagen kann: sie kommt aus dem Herzen. Und daher denke ich, dass sie gut und gerne von einem der großen Orchestren dieses Landes gespielt werden kann. Gut, die brauchen vielleicht noch andere Kriterien als "es kommt aus dem Herzen". Also dann muss man sich wohl mit seinen Preisen hervortun, die man gewonnen hat, ob man will oder nicht. Was braucht man noch? Eine Riesenportion Glück, ist schon klar, denn es gibt viele, sehr viele, die ihre Musik von Orchestren gespielt hören wollen. Vielleicht ist aber auch Glück nicht das einzige, was fehlt, dass meine Musik in den Häusern dieses Landes erklingen darf. Möglicherweise benötigt die gesamte Musikszene einen Funken Inspiration, ein kleines Korn, das bewirkt, dass Kunst, die nicht atonal ist, wieder serviert wird. Wieder ins Menü aufgenommen wird.
Man hat also angefangen, zu meinem Facebook-Post zu diskutieren. Manche verstanden sofort, was ich meinte, andere verstanden es vielleicht auch, aber waren anderer Meinung oder verstanden es eben nicht. Es ereilten mich tatsächlich sehr viele Nachrichten, darunter auch stark positive und stark negative, gegen/für die Sache, gegen/für mich. Ich bin euch allen dankbar. Dankbar, dass euch das Thema, wie mir, nicht egal ist. Dankbar, dass ihr, wie ich, starke Gefühle darüber habt. Ich wünsche euch allen, dass ihr eure Ziele erreicht. Glaubt mir, ich weiß, dass es Musiker*innen nicht einfach haben, aber das brauch ich denen unter euch, die Musiker*innen sind, nicht erzählen.
Und dann bekam ich eine Nachricht auf Facebook. Ein Ö1 Redakteur. Ob ich nicht in einer Sendung darüber sprechen wolle. Ja, ich will. Danke, dass Sie mich gefragt haben. Und plötzlich kam mir eine Idee:
WER soll entscheiden, was "zeitgenössische Kunst", "moderne Kunst", "zeitgenössische Musik", ist?
Eine Gruppe Universitätsprofessor*innen? Alle Musiker*innen dieses Landes? Die Bürger*innen dieses Landes? Alle, die Musik studiert haben oder schon seit mindestens 5 Jahren eine professionelle Karriere als Musiker*in haben? Und noch eine weitere Frage drängte sich mir auf:
WIE denken WIR, wie denken Musiker*innen des Landes über "moderne Kunst", "zeitgenössische Musik" usw.? Denken Musiker*innen, dass fast ausschließlich atonale Kunst als "zeitgenössisch" gelten soll? WOLLEN sie das überhaupt? Also ich nicht. Diese Frage schien mir einfacher zu beantworten als obige WER - Frage. Und daher habe ich eine Umfrage erstellt, die das erfassen soll. Und ich bitte alle Musiker*innen, daran teilzunehmen: https://forms.gle/Bmxjpmg1Npgf2ot99
Ich möchte mit diesem Ergebnis in die Ö1 Sendung gehen. Ich möchte dort Aussagen treffen, wie Musiker*innen dieses Landes über "moderne Musik" denken. Wir werden das machen... WIR. Wir werden dort auftreten, geschätzte, liebe Menschen aus meinem Stamm, aus dem Stamm der Musiker*innen. Die Musiklandschaft gestalten wir. Es ist gruselig. Gruselig, dass wir das selbst in der Hand haben. Es bringt unsere Grundsäulen ins Wackeln. Weil wir eben die Säulen selbst erstellen, anstatt uns auf einer bereits gebauten abzustützen. Das ist vielleicht noch schwerer als eine Beethoven-Sonate zu interpretieren. Vielleicht auch nicht, aber vielleicht eben schon. Also wird das, was uns bewegt, in Ö1 zu hören sein. Ich freue mich darauf. Und ich danke euch, dass ihr mich dabei unterstüzt.
Terminbekanntgabe Ö1 Gespräch in Kürze.
Update: Der Ö1 Redakteur hat mir geschrieben, dass er mich im "Schönberg" Jahr, also 2024, zu einer Sendung einladen wird.
コメント